Offenburger Tageblatt
Rezitation ohne jede Effekthascherei
Gerhard Ferenschild trug drei Erzählungen von Thomas Mann vor
Anspruchsvolle Unterhaltung bekamen im stilgerechten Saal der Villa
Bauer die Zu-hörer einer Thomas-Mann-Rezitation geboten. In
rund 75 Minuten Sprechzeit konn-ten sie drei Erzählungen lauschen,
die frei, also auswendig, vorgetragen wurden.
Von Bernd Grether
Eingeladen hatten den 40-jährigen Rezitator aus Düsseldorf
Stadtbücherei und Volkshochschule, unterstützt von der
Buchhandlung Akzente. Wer insgeheim nur »Wetten-dass«-reife
Gedächtnisakrobatik erwartet hatte, wurde angenehm enttäuscht.
Gewiss war man zutiefst beeindruckt, wieviel Text dieser Mensch
da vorne abrufbereit in seinem Hirn gespeichert hatte. Wenngleich
er seine Leistung herunterspielte: »Das kann eigentlich jeder.
Reine Übungssache!« Aber Ferenschild bietet natürlich
viel mehr. Das lange, mühevolle Einstudieren zahlt sich aus.
Kein Wort wirkt belanglos, alles ist durchdacht. Mit seiner sehr
klaren, jede Effekthascherei meidenden Vortagsweise trifft er den
»Thomas-Mann-Ton« bestens. Genau so, denkt man, müssen
diese Texte vorgetragen werden: die stilistische Eleganz, die psychologische
Raffinesse der Figurenschilderung, die feine, manchmal auch kräftigere
Ironie in Diktion, Mimik und Gestik auskostend! Ferenschilds geistvolle
Interpretation ist so dicht, dass das eher ungewohnte Zuhören
zum Hörgenuss pur wird. Auch hat sich der Rezitator reizvolle
Texte ausgesucht. In »Der Kleiderschrank« wird man in
eine fast kafkaeske Situation geführt. Ein unheilbar Kranker
unterbricht ohne erkennbaren Grund seine Bahnreise in einem unbekannten
Ort, mietet sich bei einer »Frau mit Vogelgesicht« ein
und findet des Abends in seinem Kleiderschrank ein schönes
nacktes Mädchen, das ihm Geschichten erzählt, die sich
»als eine süße Last« auf sein Herz legen.
Das Ende lässt offen, ob alles nur geträumt ist. Denn:
Wer kann schon mit Bestimmtheit Wirklichkeit und Traum unterscheiden?
Die Erzählung »Gerächt« schildert die Begegnung
eines »gimpelhaften« jungen Mannes mit einer Intellektuellen
von »resoluter Hässlichkeit«, aber mit einem »vollkommen
männlich gebildeten Hirn«. Bei Gesprächen über
Wagners Tristan entsteht engste geistige Vertrautheit, bis sich
die »platonische« Beziehung doch erotisch auflädt.
Mit ihren pointierten Charakterisierungen bot diese Ich-Erzählung
dem Rezitator besonders gute Gelegenheit, Manns Ironie funkeln zu
lassen.
Künstlerproblematik
Diese prägt auch die Satire auf ein musikalisches »Wunderkind«.
Mann verspottet hier auf äußerst vergnügliche Weise
den (damaligen?) Kunst- und Kulturbetrieb, der bestimmt ist von
Eitelkeit, Neid, Profit- und Geltungssucht. Dahinter scheint immer
wieder die um 1900 oft beschriebene Künstlerproblematik durch.
Denn nicht nur Adel und Bürgertum verkennen und missbrauchen
den Künstler, auch der »Kritiker« sitzt bloß
selbstgefällig auf seinem »Freiplatz« und verachtet
insgeheim den »Hanswurst« auf dem Podium ...
Dies tut der Schreiber dieser Zeilen nicht, sondern freut sich schon
auf Gerhard Ferenschilds nächste Rezitation in Offenburg.
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^^
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