Besonderer Ohrenschmaus in der Stadtbibliothek
Hilden
Gerhard Ferenschild rezitierte Die Portugiesin von Robert Musil.
Als scharf und aufmerksam galten die Herren von Ketten und kein
Vorteil entging ihnen im weiten Umkreis. Und bös wie Messer
waren sie, die gleich tief schneiden. Sie wurden nie rot vor Zorn
und in der Freude strahlten sie wie Gold, so schön und so selten.
Wer die anspruchsvolle Sprache Robert Musils kennt, weiß,
daß diese dem Rezitator ein hohes Maß an Darbietungskunst
abverlangt.
In beeindruckender Weise stellte der Rezitator Gerhard Ferenschild
vor etwa 80 Gästen in der Hildener Stadtbibliothek Musils Novelle
"Die Portugiesin" vor. Die Novelle gehört zum Zyklus
"Drei Frauen", der 1924 zum ersten Mal veröffentlicht
wurde. Daß man sich am Abend des 15. April 2002 in der Stadtbibliothek
zu einem Musil-Abend versammelte, hatte historischen Anlaß:
Robert Musil, verstarb am 15. April 1942 nur 62-jährig in Zürich.
Er gilt neben James Joyce und Marcel Proust als einer der ganz Großen
der Weltliteratur.
Es ist allein seine Stimme, mit der Gerhard Ferenschild die Spannung
im Publikum erzeugt und die Lust, in die Geschichte des Burgherrn
von Ketten und der geheimnisvollen Portugiesin einzutauchen. Sanfte
Sprechweise in mittlerer bis hoher Stimmlage wechselt mit hartem,
fast schneidendem Ton ab, je nachdem, was er spricht. Gerhard Ferenschild
spricht frei - sechs Monate braucht er, um eine solche Erzählung
vorzubereiten. Zurück genommene Mimik begleitet die beachtliche
Modulation der Stimme des Rezitators. Seine wachen Augen halten
den Kontakt zum Publikum. Ab und zu holt er für einen ganz
kleinen Augenblick in seinem Vortrag inne. So führt er das
Publikum auch durch schwierige Sätze Musils, deren Verständnis
nun ganz leicht erscheint.
Um harte Kriegsführung des Herrn von Ketten und die Einsamkeit
seiner schönen Frau, der Portugiesin, rankt der Beginn der
Erzählung, die im Norden Italiens im Mittelalter spielt. In
mystischem Zusammenspiel treten dann Sieg und plötzliche schwere
Krankheit ins Leben des Herrn von Ketten. Seine Genesung wird hervorgerufen
und begleitet durch sehr rätselhafte Geschehnisse, die sich
dem Erscheinen und dem Sterben einer kleinen Katze und dem Erklimmen
einer unbezwingbaren Felswand verdanken. Hinter allem scheint die
Portugiesin zu stehen, die die Sphäre des Magischen, Zauberhaften
und Geheimnisvollen verkörpert und die Geschichte mit dem blasphemischen
Satz "Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Katze werden"
beschließt.
Beredtes Schweigen setzte den Schlusspunkt unter die gelungene Leistung.
Das Publikum saß wie gebannt von der Spannung, die der Text
produzierte, so dass erst eine befreiende Danksagung des Rezitators
dem verdienten Applaus den Weg bahnte. Die rundum zufriedenen Gesichter
des Publikums gaben dem empfundenen Hörgenuss Ausdruck.
"Gelesen hätte ich diese Geschichte wahrscheinlich nie",
bekannte eine Zuhörerin frank und frei, "aber durch die
heutige Rezitation war mir die Lektüre in angenehmster Weise
möglich." Diesem Kompliment kann sich der Rezensent bedingungslos
anschließen. Gerhard Ferenschilds Vortragskunst ist selber
eine Verzauberung.
Seit 1998 stellt er jedes Jahr anspruchsvolle Prosadichtung einem
inzwischen treuen Publikum vor. Texte von Georg Büchner, Heinrich
von Kleist, Thomas Mann und Gottfried Keller waren die Sujets der
letzten Jahre. Thomas Mann, Christa Wolf, Heinrich Heine und Gerhart
Hauptmann sollen folgen.
zurück
^^
|